Abtreibung in ersten zwölf Wochen: Niedersachsens Gesundheitsminister für Legalisierung

Symbolbild: Pixabay

Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi unterstützt eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten zwölf Wochen. Die derzeitige Regelung im Strafgesetzbuch sei eine Belastung der betroffenen Frauen und nicht geeignet, das Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmungsrecht und Schutz des ungeborenen Lebens aufzulösen, teilte der SPD-Politiker am Montag mit. „Das Strafgesetz ist der falsche Rahmen für diese komplexe, medizinethisch-moralische Debatte.“ Philippi bat die Bundesregierung, zeitnah einen entsprechenden Vorschlag vorzulegen.

Bundesregierung setzt Expert:innenkommission ein

Abtreibungen sollten in Deutschland nach Einschätzung einer von der Bundesregierung eingesetzten Expert:innenkommission künftig nicht mehr grundsätzlich strafbar sein. Kurzfristige Änderungen sind allerdings nicht zu erwarten. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sprach am Montag von einem sehr sensiblen Thema, das stark in persönliche Bereiche gehe. Der Expert:innenbericht solle jetzt Grundlage sein für eine Debatte, die Politik und Gesellschaft miteinander führten.

Expertin: „Sachorientierte und respektvolle Debatte führen“

Eine der beteiligten Expertinnen, Prof. Maria Wersig von der Hochschule Hannover, erklärte, jede Gesellschaft müsse einen Umgang mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch finden. „Gerade bei schwierigen Themen ist es wichtig, eine sachorientierte und respektvolle Debatte zu führen“, sagte Wersig. Der Bericht biete dafür eine gute Basis.

Empfehlungen werden nun regierungsintern beraten

Eine Aussage zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten zwölf Wochen wollten weder Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) noch seine anwesenden Kabinettskollegen Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) am Montag treffen. Es brauche bei einer so „hochsensiblen Materie“ einen „breiten gesellschaftlichen und natürlich auch parlamentarischen Konsens“, erklärte Lauterbach. „Was wir nicht brauchen, ist eine weitere Debatte, die die Gesellschaft spaltet.“ Die Empfehlungen würden jetzt regierungsintern beraten und anschließend an die Fraktionen weitergeleitet. Einen Zeithorizont könne noch niemand nennen.

Was bislang gilt

Eine Abtreibung ist in Deutschland nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches grundsätzlich rechtswidrig, aber nicht strafbar, wenn sie innerhalb der ersten zwölf Wochen stattfindet und die Frau sich zuvor hat beraten lassen. Ohne Strafe bleibt ein Abbruch zudem, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird. Laut Statistischem Bundesamt gab es in Deutschland im Jahr 2022 insgesamt knapp 104.000 Schwangerschaftsabbrüche. Kommissionsmitglied Frauke Brosius-Gersdorf weist darauf hin, dass die grundsätzliche Strafbarkeit derzeit zu einer unsicheren Situation für Frauen führe, weil Abtreibung „als Unrecht gekennzeichnet“ sei. Würde die Illegalität aufgehoben, würden auch die Krankenkassen die Kosten für den Eingriff regulär übernehmen. Laut den Expert:innen belaufen sie sich derzeit auf bis zu 600 Euro. Für Frauen mit wenig Geld würden die Kosten auch jetzt schon übernommen – aber erst auf einen Antrag hin. 

Lauterbach verspricht Verbesserung bei Versorgung

Immerhin zur Versorgung von Frauen, die einen Abbruch vornehmen lassen wollen, versprach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Verbesserungen – ganz unabhängig von der Frage der Legalisierung. „Wir haben hier große Probleme, die Verfügbarkeit ist nicht gegeben“, sagte der Minister mit Blick auf die flächendeckende Versorgung mit entsprechenden Stellen und Ärztinnen- und Arztpraxen. Die Hindernisse für Betroffene seien „nicht akzeptabel“. Nach der kürzlich veröffentlichten „Elsa-Studie“ haben vor allem Frauen im Süden und Westen Deutschlands Probleme, einen Eingriff innerhalb einer Distanz von 40 Minuten Autofahrt vornehmen zu lassen. Das werde die Bundesregierung angehen, versprach Lauterbach.

Der Minister ließ auch durchblicken, dass er das aktuell geltende Verbot, Eizellen zu spenden, für überholt halte. Hier sehe er „Handlungsbedarf“, sagte Lauterbach. Die wissenschaftliche Basis habe sich seit dem Verbot vor 30 Jahren geändert. Verboten wurde die Eizellspende damals insbesondere mit dem Argument der „gespaltenen Mutterschaft“: Zu befürchten seien Schäden für das Kind, da die gebärende Mutter nicht die genetische Mutter sei, hieß es. Diese Sorgen hätten sich nicht bestätigt, sagte Lauterbach mit Verweis auf die Erfahrungen in anderen Ländern. Deutschland sei neben Luxemburg das einzige Land in der Europäischen Union, das die Eizellspende weiterhin verbiete.

Bevölkerung lehnt Strafbarkeit von Abtreibungen mehrheitlich ab

Auch in der Bevölkerung scheint die Stimmung eine andere zu sein als noch vor Jahrzehnten. Das zeigt sich besonders deutlich mit Blick auf das Thema Schwangerschaftsabbrüche. Einer aktuellen repräsentativen Civey-Befragung im Auftrag des Familienministeriums zufolge, die der Tageszeitung taz vorab vorlag, halten es 80 Prozent der Deutschen für falsch, dass ein Schwangerschaftsabbruch nach einer verpflichtenden Beratung rechtswidrig ist. 75 Prozent finden zudem, dass Abbrüche künftig eher nicht mehr im Strafgesetzbuch geregelt werden sollten.

Schwierige Lage auch für Ärztinnen und Ärzte

Kommissionsexpertin Liane Wörner weist darauf hin, dass es zwar derzeit zu wenigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen komme. Das heiße aber nicht, dass es keine Fälle von Strafverfolgung gebe. Denn auch das zeigt die Elsa-Studie, für die auch Ärztinnen und Ärzte zu ihren Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen befragt worden waren: 17 Prozent von ihnen gaben an, angezeigt worden zu sein, weil sie über Abbrüche informiert oder sie vorgenommen hatten. Jeder vierte berichtete von Bedrohungen und Angriffen. Es seien also nicht nur die ungewollt Schwangeren selbst, die durch die Strafbarkeit von Abbrüchen betroffen seien, sondern auch alle anderen Beteiligten.

Union gegen Lockerungen – Warnung vor „Dammbruch“

Die Zeiten hätten sich geändert, das müsse sich auch in der Gesetzgebung widerspiegeln, so der einhellige Appell der Kommission. Ein Appell, den einige teilen, andere aber scharf kritisieren. Die Union beispielsweise ist strikt gegen Lockerungen im Abtreibungsrecht und warnt die Bundesregierung vor einem „Dammbruch“. Ob es tatsächlich zu Lockerungen kommen wird, ist derzeit unklar. Klar ist: Der Prozess wird kein leichter sein – und noch viele Debatten mit sich bringen.

SAT.1 REGIONAL/dpa

Copy LinkCopy LinkShare on MessengerShare on Messenger
Zur Startseite