Nach Mordserie: «Ich mochte ihn immer – jetzt nicht mehr»

Im Prozess hat erstmals eine Zeugin aus dem Umfeld der Opfer ausgesagt. (Archivfoto) Sina Schuldt/dpa
Im Prozess hat erstmals eine Zeugin aus dem Umfeld der Opfer ausgesagt. (Archivfoto) Sina Schuldt/dpa

Verden (dpa/lni) –

Als sie morgens aufwacht, sieht sie bei WhatsApp ein Foto von ihrem bewaffneten Schwiegersohn. «Ich hab‘ erst gedacht, das ist ein Scherz», erinnert sich die 60-Jährige vor dem Landgericht Verden. Dann wächst die Sorge um ihre schwangere Tochter und den Enkelsohn. «Ich hatte solche Angst.» Nach und nach wird klar: Ihr Schwiegersohn soll vier Menschen erschossen haben. Die Tochter mit ihrem Sohn bleibt unverletzt, aber ihre Liebsten sind tot.

Mit der Ex-Schwiegermutter des Angeklagten bekommen in dem Mordprozess zum ersten Mal die Opfer eine Stimme vor Gericht. Der Mann auf der Anklagebank selbst schweigt weiter, wendet seinen Blick jedoch nicht von der Zeugin ab. Von der Frau, die ihn in Chats «mein lieber Sohn» nannte. Die ihm in den Monaten der Trennung von seiner Ehefrau zuhörte und für ihn da war. 

Eine Nacht, vier Tote – Anklage wegen Mordes

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Deutschen nun vierfachen Mord vor – heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen. Der Fallschirmjäger soll bei der Mordserie in der Nacht auf den 1. März im Landkreis Rotenburg (Wümme) wie bei einem Häuserkampf vorgegangen sein, getrieben von Hass und Rache. Er soll die Liebsten seiner damals schon getrennt lebenden Frau im Schlaf überrascht und erschossen haben. Erst ihren neuen Partner und dessen Mutter in Scheeßel, dann die beste Freundin und deren dreijährige Tochter in Bothel. 

Wenige Stunden nach den Schüssen soll er sich mit den Worten «Ich bin der, der gesucht wird» vor der Kaserne in Rotenburg (Wümme) gestellt haben.

Vor Gericht konfrontiert der Vorsitzende Richter die 60 Jahre alte frühere Schwiegermutter mit einer Aussage: «Er war der tollste Ehemann, er war der tollste Vater, den ich jemals gesehen haben», soll sie ihren ehemaligen Schwiegersohn der Polizei beschrieben haben. Die Frau nickt. «Das stimmt. Da stehe ich auch heute noch dahinter.»

Der Traum von der heilen Familie 

Der 33-Jährige habe ihrer Tochter alle Wünsche erfüllt, sagt die Zeugin. «Sie wollte schon immer eine klassische Familie haben, sie wollte ein Eigenheim haben.» Er habe ihre Schulden beglichen, in der Nähe ihrer besten Freundin ein Haus gekauft und renoviert. Als der gemeinsame Sohn auf die Welt kam, habe er sich rührend um den Kleinen gekümmert. Sie hätten gemeinsam im Schnee getollt und Fahrradfahren geübt, seien in den Dinopark und ins Museum gegangen. 

Das Paar habe «am Anfang eine sehr, sehr große Liebe» füreinander empfunden, meint die ehemalige Schwiegermutter des Angeklagten. Dann habe er sich auf seine Karriere bei der Bundeswehr als Fallschirmjäger konzentriert, keine Gefühle gezeigt und nur wenig geredet. Sie habe lieber Zeit mit ihrer besten Freundin verbracht. «Aber ist das schon eine Krise?», fragt die Zeugin. Sie wisse es nicht.

Ex-Schwiegermutter: Angeklagter liebte seine Frau «abgöttisch»

Ihr habe die Freundschaft der Frauen mehr Kopfzerbrechen bereitet, berichtet die 60-Jährige vor Gericht. Beide übten den gleichen Beruf aus, heirateten einen Soldaten, zogen in denselben Ort und bekamen zu einem ähnlichen Zeitpunkt Kinder. Der Tochter sei die Beziehung zur Freundin wichtiger gewesen als zu ihrem Mann oder zu ihren Eltern. Der Angeklagte habe das akzeptiert. «Er liebte sie wirklich abgöttisch und hat ganz viel geschluckt.» 

Als sich die Freundin von ihrem Mann trennte, wollte sich ihre Tochter wenige Monate später auch scheiden lassen. «Ich hab’ sie nicht verstanden, nein. Sie hatte alles, was sie sich erträumt hat. Alles», sagt die Mutter vor Gericht. Sie habe gehofft, dass ihre Tochter dem 33-Jährigen noch eine Chance gibt. «Ich mochte ihn immer – jetzt nicht mehr.»

Unter Tränen sagt sie aus: «Die Tat ist unfassbar. Es ist einfach nur schlimm.» Der 33-Jährige habe seine Familie schützen wollen und mit der Tat genau das Gegenteil erreicht. Ohne psychologische Hilfe gehe nichts mehr. «Wir werden diese Geschichte nie im Leben vergessen», meint die 60-Jährige. «Es wird immer belastend sein.»

© dpa-infocom, dpa:241025-930-270137/2

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