Hamburg/Köln (dpa/lno) –
Nach rund vierjährigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln hat sich das Cum-Ex-Verfahren gegen den früheren Hamburger SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs in Luft aufgelöst.
Das Verfahren wegen Beihilfe zur schweren Steuerhinterziehung und Begünstigung sei am 12. Dezember mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden, teilte die Staatsanwaltschaft der Deutschen Presse-Agentur mit. Nach Auswertung aller zur Verfügung stehenden Beweismittel gebe es keine tragfähigen Hinweise darauf, dass die Beschuldigten über rechtswidrige Bankgeschäfte tatsächlich informiert gewesen seien. Zuvor hatte das «Hamburger Abendblatt» berichtet.
Keine Belege für Beihilfe oder Begünstigung
«Die sehr sorgfältig durchgeführten Ermittlungen haben nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Wahrscheinlichkeit belegt, dass die Beschuldigten von einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat von Bankmitarbeitern, nämlich steuerschädlichen Cum/Ex-Geschäften mit Leerverkäufen, gewusst und sie diese Tat zumindest billigend in Kauf genommen hätten», erklärte die Anklagebehörde. Neben Kahrs treffe das auch auf einen weiteren Beschuldigten zu. Die gesondert geführten Ermittlungen gegen eine dritte Beschuldigte dauerten noch an.
Die Staatsanwaltschaft Köln nannte unter Hinweis auf das Persönlichkeitsrecht keine Namen. Das übernahm die Hamburger Anwaltskanzlei Even, die den 61-jährigen Kahrs vertritt. «Die Einstellung erfolgte bedingungslos ohne Auflagen oder sonstige Einschränkungen als Freispruch im Ermittlungsverfahren», teilte die Kanzlei mit. Kahrs sei erleichtert, dass das Verfahren «endlich eingestellt und damit abgeschlossen» sei. Neben Kahrs hatte die Staatsanwaltschaft auch gegen den früheren SPD-Innensenator Alfons Pawelczyk ermittelt. Außerdem steht eine Hamburger Finanzbeamtin im Visier der Ankläger.
Warburg Bank in Cum-Ex-Skandal verwickelt
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft drehten sich um Kahrs‘ mögliche Beteiligung an den Vorgängen rund um die in den Cum-Ex-Skandal verwickelte Hamburger Warburg Bank. Es bestand der Verdacht, dass Kahrs seinen Einfluss zugunsten der mit möglichen hohen Rückzahlungsforderungen konfrontierten Bank geltend gemacht haben könnte.
So hatte er 2016 und 2017 Treffen der Warburg-Banker Max Warburg und Christian Olearius mit dem damaligen Hamburger Bürgermeister und jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mitvermittelt und war im Fall Warburg 2016 auch bei der Finanzaufsicht Bafin vorstellig geworden.
Zur selben Zeit – 2017 – hatte die SPD Hamburg nach eigenen Angaben von der Warburg Bank und ihr verbundenen Unternehmen Spenden in Höhe von 45.500 Euro angenommen, 38.000 Euro davon flossen an den SPD-Kreis Hamburg-Mitte des früheren Abgeordneten Kahrs.
Untersuchungsausschuss zum Einfluss führender SPD-Politiker
Wegen des Cum-Ex-Skandals war 2020 von der Hamburgischen Bürgerschaft ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet worden, der eine mögliche Einflussnahme führender SPD-Politiker auf die steuerliche Behandlung der Warburg Bank klären sollte. Denn nach den ersten Treffen der Banker mit Scholz hatte das Finanzamt für Großunternehmen 2016 mit Ablauf der Verjährungsfrist zunächst auf Steuernachforderungen in Höhe von 47 Millionen Euro verzichtet. Weitere 43 Millionen Euro wurden 2017 erst nach Intervention des Bundesfinanzministeriums eingefordert.
Scholz hatte die Treffen im Untersuchungsausschuss eingeräumt, aber angegeben, sich an den Inhalt der Gespräche nicht erinnern zu können. Eine Einflussnahme auf das Steuerverfahren schloss er aber aus. Bei Cum-Ex-Geschäften verschoben Finanzakteure große Aktienpakete mit («cum») und ohne («ex») Dividendenanspruch rund um den Dividenden-Stichtag in einem vertrackten System und ließen sich dann Steuern erstatten, die sie gar nicht bezahlt hatten. Schätzungen zufolge verlor der Staat so einen zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag.
2021 Razzia bei Kahrs
Kahrs war durch die Tagebucheinträge von Olearius ins Visier der Ermittler geraten, der dort Treffen und Telefonate vermerkt hatte. Im September 2021 durchsuchten dann Fahnder Kahrs Wohnungen in Hamburg und Berlin, fanden dabei einen Schlüssel für ein Bankschließfach, in dem sie fast 215.000 Euro in bar entdeckten. Woher das Geld stammt, ist öffentlich nicht bekannt.
«Die Ermittlungen konnten den Anfangsverdacht nicht erhärten. Im Gegenteil: Es wurden keine Beweise für ein Fehlverhalten von Johannes Kahrs gefunden – es gab schlicht kein Fehlverhalten», erklärte die Anwaltskanzlei Even. Kahrs‘ Anwalt Jes Meyer-Lohkamp sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Einstellung komme «Jahre zu spät». Die Staatsanwaltschaft Köln sei wie ein Tiger losgesprungen und als Bettvorleger gelandet.
Kahrs wollte Wehrbeauftragter werden
Kahrs hat sich bereits im Mai 2020 fast vollständig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Damals hatte der langjährige Bundestagsabgeordnete und Haushaltsexperte Knall auf Fall all seine Ämter niedergelegt, weil Eva Högl und nicht er Wehrbeauftragter des Bundestags geworden war. Kahrs war damals zudem Kreisvorsitzender der SPD in Hamburg-Mitte und ein Sprecher des Seeheimer Kreises, der den eher konservativen Parteiflügel vertritt. Die von ihm viel genutzten Accounts bei Twitter, Facebook und Instagram schaltete er gleichzeitig ab.
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