Nach 110 Jahren: Lübeck gibt Schädel an Nachfahren zurück

Die Angehörigen der indigenen Gemeinschaft der Selk’nam nehmen im Lübecker Rathaus die Urne mit dem Schädel eines ihrer Vorfahren in Empfang. Markus Scholz/dpa
Die Angehörigen der indigenen Gemeinschaft der Selk’nam nehmen im Lübecker Rathaus die Urne mit dem Schädel eines ihrer Vorfahren in Empfang. Markus Scholz/dpa

Lübeck (dpa) –

Nach zweijährigen Rückgabeverhandlungen ist ein Schädel eines Angehörigen der indigenen Gemeinschaft der Selk’nam in Lübeck an Vertreterinnen seines Volkes zurückgegeben worden. «Ich spreche heute meinen Dank und meinen Respekt für die Anerkennung des Schmerzes meines Volkes aus», sagte die Sprecherin der Selk’nam, Hema’ny Molina. Die Delegation war aus Feuerland (Chile) angereist. 

Ein deutscher Auswanderer, der in Chile lebte, hatte den Schädel 1914 als Geschenk an die frühere Völkerkundesammlung der Hansestadt gesandt. Diese wurde 2023 auf Beschluss der Bürgerschaft in «Sammlung Kulturen der Welt» umbenannt. 

Vertreter des Stammes hatten dem etwa 50 Jahre alten Verstorbenen den Namen Hoshko gegeben, um ihn wieder als Person würdigen und mit einem Namen ansprechen zu können. Zunächst soll Hoshkos Schädel seine letzte Ruhe auf einem Lübecker Friedhof finden, wo er nach der offiziellen Übergabe beigesetzt werden sollte. Sie hoffe aber, dass die politischen Hindernisse für eine Überführung der Urne nach Chile bald beseitigt würden, sagte Molina. 

Schädel stammte vermutlich aus Grabraub

Der Schädel stammt vermutlich aus einem Grabraub. Die Selk’nam lebten ursprünglich vor allem im Süden der Insel Feuerland, die heute zu Chile und zu Argentinien gehört. Nach der Ankunft europäischer Siedler, die den Lebensraum der Selk’nam und anderer benachbarter Gemeinschaften als Weideland für ihre Tierherden beanspruchten, begann die systematische Verfolgung der indigenen Gemeinschaften. 

Heute seien es häufig deren Enkel, die ihre Angst vor weiterer Diskriminierung überwunden haben und sich auf die Suche nach ihren indigenen Wurzeln begeben, heißt es im Programm zur Ausstellung «Hoffnung am Ende der Welt – Von Feuerland zur Osterinsel», die 2022 in Lübeck zu sehen war.

Schädel nicht mehr öffentlich zu sehen

Aus Gründen des Respektes wurden der Schädel und andere sterbliche Überreste seit 2022 nicht mehr ausgestellt. Nach Angaben des Museums wurde er in einem separaten Raum und einem eigens für diesen Zweck gefertigten Behälter individuell aufbewahrt.

Nach chilenischem Recht sind sterbliche Überreste an das dortige Kultusministerium zu übergeben, das dann eine Freigabe zur Bestattung erteilt, wie die Lübecker Museen mitteilten. Die Selk’nam hätten jedoch Vorbehalte gegen dieses Verfahren gehabt und eine direkte Übergabe unter Ausschluss der chilenischen Behörden erwünscht, hieß es.

© dpa-infocom, dpa:241011-930-258164/1

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