Rust/Oldenburg (dpa) –
Nach dem Aus des Miss-Niederlande-Wettbewerbs hoffen die Veranstalter der deutschen Ausgabe «Miss Germany», dass sich weitere Länder vom reinen Fokus auf Schönheitsideale verabschieden. «Die Zeit ist reif, das zu überdenken», sagte Max Klemmer von des Miss Germany Studios in Oldenburg. In den Niederlanden hatten die Organisatoren verkündet, die Miss-Wahlen nach 35 Jahren abzuschaffen, weil sie aus der Zeit gefallen seien.
«Wir sind vor fünf Jahren aus dem Schönheitskosmos ausgestiegen», sagte Klemmer. Auch eine Altersbeschränkung wurde schnell aufgehoben. Bei den internationalen Wettbewerben «Miss Universe» und «Miss World» nehmen die deutschen Siegerinnen nicht mehr teil. «Miss Germany» sei Vorreiter gewesen.
«Female Founder» und «Female Leader»
Heute will der fast 100 Jahre alte Wettbewerb Frauen in der Wirtschaft fördern. Das Finale der Saison 2024/25 findet am 22. Februar im Europa-Park in Rust bei Freiburg statt. Neun Finalistinnen treten in den Kategorien «Female Founder» (Gründerinnen), «Female Mover» (Männerdominierte Berufsfelder) und «Female Leader» (Führungskräfte) an. Einige haben etwa Start-ups gegründet.
Aus Klemmers Sicht folgt das Erkenntnissen, dass Geschlechtergerechtigkeit der Wirtschaft guttue. «Wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen, wir brauchen empathische Führung», sagte er. Dann steige auch die Zufriedenheit.
«Ich hoffe, dass das als Inspiration gedient hat», sagte der 28-Jährige. Mit Veranstaltern in anderen Ländern gebe es zwar keine Absprachen. Aber dieses Jahr sei bei der Preisverleihung das Interesse sowohl von Medien als auch aus der Gesellschaft groß gewesen – etwa aus Spanien, Japan und Frankreich.
Europäische Länder seien sich gesellschaftspolitisch näher, sagte Klemmer. Daher könne der Wandel hier eher inspirieren. «Man muss das aber im gesellschaftlichen Kontext sehen.» In Lateinamerika etwa hätten Schönheitswettbewerbe eine ganz andere Bedeutung.
Andere Länder, ähnliche Entwicklung
Auch in Österreich ist der Wettbewerb nach Angaben der Veranstalterin vor einigen Jahren reformiert worden. So sei schon vor Corona der «Bikini-Walk» abgeschafft worden, sagt Mission-Austria-Geschäftsführerin Kerstin Rigger. Das neue Motto «Sei, wie du bist» huldige nicht mehr der «Barbie-Puppe» und den angeblichen Ideal-Maßen 90-60-90. An der Schärpe für die Siegerin werde sie festhalten. Ob die Krone noch zeitgemäß sei, darüber denke sie nach.
Auf der iberischen Halbinsel gibt es keine nennenswerte Diskussion über die Miss- und Mister-Wettbewerbe, eine Abschaffung steht nicht zur Debatte. Die Auszeichnungskriterien wurden in den vergangenen Jahren auch in Spanien und Portugal angepasst und modernisiert. Verstand, berufliche und persönliche Errungenschaften, soziales Engagement und andere Kriterien, die nichts mit «Schönheit» zu tun haben, spielen inzwischen eine bedeutende Rolle.
Mit Ángela Ponce war Spanien 2018 nach Angaben der Organisatoren das erste Land, in dem eine Transfrau den Titel gewann. Im vom Katholizismus immer noch besonders stark geprägten Portugal siegte im vorigen Jahr die Transfrau und Antidiskriminierungsaktivistin Marina Machete.
In Polen wird seit 1990 jährlich die «Miss Polski» gewählt. Auch für 2025 ist der Wettbewerb bereits ausgeschrieben. Eine Debatte darüber, ihn einzustellen, wird bislang bei Deutschlands Nachbarn nicht geführt.
In Tschechien gibt es sogar zwei konkurrierende Schönheitswettbewerbe. Seit der Wende von 1989 präsentieren sich Frauen im Ringen um den Titel «Miss der Tschechischen Republik» (ursprünglich «Miss der Tschechoslowakei»). Zuvor hatte es in der Zeit des Sozialismus eine fast 20-jährige Pause gegeben. Als Konkurrenzveranstaltung läuft seit 2010 der Wettbewerb um die «Miss Czech Republic», dessen Siegerin am Miss-World-Wettbewerb teilnehmen darf. Eine gesellschaftliche Debatte über eine Abschaffung findet bisher nicht statt.
«Miss»-Titel absichtlich beibehalten
Klemmer begrüßte, dass die Niederländer keinen Schönheitswettbewerb mehr veranstalten. «Aber es ist schade, dass sie es ganz abschaffen.»
Anstelle des Miss-Wettbewerbs gibt es in den Niederlanden jetzt die Online-Plattform «Niet Meer Van Deze Tijd» (Nicht mehr von dieser Zeit) rund um psychische Gesundheit, soziale Medien, Vielfalt und Selbstdarstellung. Das ist dem deutschen Ansatz zwar ähnlich. Klemmer betont aber, dass sie absichtlich den «Miss»-Titel beibehalten hätten, ihn aber inhaltlich neu aufladen wollten. «Es geht nicht um 90-60-90 – sondern um Frauen, die was zu sagen haben.»
Kritik am Kurswechsel
Das sei in Teilen ein radikaler Wandel, räumte er ein. «Uns ist bewusst, dass das polarisiert.» Die Miss Germany Studios hätten mit Denkmustern brechen wollen. Für Kritik habe er Verständnis, würde dann aber gerne in den Dialog gehen.
Der baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Ruben Rupp beispielsweise hatte kritisiert, der 2019 eingeleitete Kurswechsel sei ein «Spiegel des deutschen Niederganges». «Die „Miss Germany“-Wahl war in der Vergangenheit Aushängeschild Deutschlands und ein Symbol dafür, wie wir das Schöne, Wahre und Gute bewahren», kritisierte er. Heute gehe es darum, «das Publikum überheblich mit erhobenem Zeigefinger zu belehren».
Skeptisch sieht Klemmer die sozialen Medien, in denen sich zunehmend wieder klassische Schönheitsideale durchsetzten. «Mit Botoxspritzen und Fettabsaugen», sagte er. Das sei fast schon eine Gegenbewegung, getrieben auch von einer jüngeren Generation. «Da sieht man immer nur perfekte Welt», sagte er. «Es ist auch in unserer Verantwortung, gesunde Vorbilder zu zeigen.»
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