Der 24. Februar 2022 wird traurigerweise in die Geschichtsbücher eingehen. Es ist das eingetreten, was viele befürchtet haben, aber eigentlich niemand wahrhaben wollte: Der russische Präsident Wladimir Putin hat den Befehl erteilt, die Ukraine militärisch anzugreifen. Mitten in Europa herrscht jetzt Krieg.
„Heute ist ein furchtbarer Tag für die Ukraine und ein düsterer Tag für Europa.“ Mit diesen Worten wandte sich Bundeskanzler Olaf Scholz noch am selben Tag in seiner Fernsehansprache an die deutsche Bevölkerung. „Wir alle sorgen uns um den Frieden. Ich kann mir gut vorstellen, welche Fragen Sie sich heute Abend stellen. Mir geht es da nicht anders als Ihnen. Die Lage ist sehr ernst.“
Angst und Hilflosigkeit
Die Lage ist vor allem neu. Ähnlich wie die Corona-Pandemie anfangs – die ja auch immer noch nicht überwunden ist. Und zusätzlich herrscht jetzt noch Krieg. Das macht was in den Köpfen vieler Menschen. Es ist deshalb völlig normal, jetzt Gefühle wie Angst zu verspüren, bestätigt auch Prof. Dr. Bernd Löwe, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. „Auch Katastrophisieren oder Gefühle von Hilflosigkeit sind jetzt in der Akutsituation absolut normal und auch adäquat, denn da ist eine reale Bedrohung“, so Löwe.
Alle Gefühle sind erlaubt
Normal sind eigentlich alle Gefühle zurzeit: Angst, Trauer, Traurigkeit oder auch Wut und Ärger. Das sagt Prof. Dr. Matthias Nagel, Chefarzt für Psychiatrie und Psychotherapie der Asklepios Klinik Nord in Wandsbek. „Und gerade Angst ist ja auch ein sehr sinnvolles Gefühl und hat eine wichtige Funktion – eine Schutzfunktion“, so der Mediziner. Wichtig sei aber: Diese zum jetzigen Zeitpunkt völlig angemessene Reaktion nicht überbewerten. „Nur, weil man mal eine Nacht nicht schlafen kann und sich Gedanken und Sorgen macht, ist man noch lange nicht psychisch krank“, beruhigt Nagel. Der Mensch ist ziemlich belastbar und die allermeisten – ohne psychische Vorerkrankung, wohlgemerkt – kommen am Ende mit schweren Krisen gut zurecht.
Angst zu haben, ist okay – keine zu haben, aber auch
Empathie und Solidarität sind kein Wettstreit. Jeder Mensch ist anders und geht dementsprechend unterschiedlich und in einem anderen Tempo mit der momentanen Situation um. Und natürlich dürfen Sie zurzeit auch Freude empfinden oder lachen. „Dass es anderen Menschen schlecht geht, ist kein Grund dafür, dass es mir schlecht gehen muss“, betont Prof. Dr. Matthias Nagel. „Dieser Schuldkomplex ist nicht hilfreich, das muss man ganz klar sagen. Freude und Spaß zu haben, das ist ganz, ganz wichtig – davon leben wir Menschen.“ Das sei zum Teil auch eine gesunde Reaktion. So könne sich die Psyche selbst auch mal eine Pause verordnen, ergänzt Prof. Dr. Bernd Löwe. „Das heißt ja nicht, dass Ihnen das weniger nahe geht, was in der Ukraine passiert. Aber es hilft ja auch niemandem, wenn Sie jetzt den ganzen Tag betroffen wären.“
Bewusst Nachrichtenpausen einlegen
Prof. Dr. Bernd Löwe empfiehlt, zur Schonung der eigenen Ressourcen, auch bewusst abzuschalten zwischendrin. Natürlich ist es wichtig, informiert zu bleiben. „Informationen zu haben, ist meist besser, als keine zu haben“, sagt auch Löwe. Informieren Sie sich daher bei seriösen Quellen, aber legen Sie auch bewusst Nachrichtenpausen ein, schalten Sie möglicherweise sogar Push-Benachrichtigungen auf Ihrem Smartphone aus. Zur Ablenkung dienen alle möglichen Dinge, die Ihnen persönlich guttun. „Das kann auch Arbeit sein, weil es einfach etwas anderes ist“, so Löwe.
Zwicken Sie sich mal
Sie müssen sich jetzt aber nicht zwangsläufig in die Arbeit stürzen, um das eigene Gedankenkarussell zu stoppen. Der Arzt Felix M. Berndt, bei Instagram besser bekannt als @doc.felix, hat da noch ein paar mehr Tipps und Tricks. Er selbst zwickt sich in den Daumen – oder in eine andere Fingerkuppe. „So, dass es ruhig ein bisschen weh tut“, empfiehlt der Mediziner in seinem neuesten Instagram-Video. Warum? Etwa 83 Prozent aller Sorgen und Ängste hätten mit unserer Gegenwart gar nichts zu tun, sondern mit der Zukunft oder der Vergangenheit, sagt er. „In der Gegenwart sind wir sicher“, so Berndt. Und genau das bewirkt das Zwicken: Es holt einen in die Gegenwart zurück. „Was in einer Minute, einer Stunde, in einer Woche ist – keine Ahnung. Aber in diesem Moment geht’s mir gut.“ Hier können Sie das Video von @doc.felix in voller Länge ansehen:
Was Sie sonst noch machen können
- Über die eigenen Sorgen sprechen – mit Freundinnen, Freunden, Eltern oder anderen Vertrauenspersonen.
- Unter Menschen gehen, sich mit Freundinnen oder Freunden treffen – denen geht es möglicherweise ähnlich und wie sagt man so schön: Geteiltes Leid ist halbes Leid.
- Auf die eigene Atmung achten – Flaches Atmen fördert Stress, Angst und Panik, eine bewusste Atmung sorgt hingegen schnell für Entspannung. Am besten durch die Nase bewusst in den Bauch einatmen – sodass der Bauch sich nach vorne wölbt – und auch durch die Nase wieder ausatmen.
- Sport treiben – Durch Bewegung wird das Stresshormon Cortisol im Körper abgebaut.
- Progressive Muskelentspannung – Lockere Muskeln entspannen die Nerven und erleichtern die Stressbewältigung. Das Ziel ist, gezielt einige Muskelpartien kräftig anzuspannen und danach loszulassen, um sie zu wieder lockern. Anleitungen bieten beispielsweise Krankenkassen, unter anderem Die Techniker, Barmer oder AOK.
- Aktiv werden und sich engagieren – Die Gefühle der Ohnmacht und des Kontrollverlustes können sich dadurch vertreiben lassen, indem man sich engagiert. Das kann ein Stück der Kontrolle zurückgeben. Wie und wo das möglich ist, finden Sie weiter unten auf dieser Seite.
Wann ist professionelle Hilfe ratsam?
Kritisch wird es, wenn der Alltag leidet, man nicht mehr zur Arbeit gehen oder nicht mehr die eigenen Kinder versorgen kann, warnt Prof. Dr. Bernd Löwe. „Wenn die Angst chronisch anhaltend wird, dann sollte man sich professionelle Hilfe holen.“ Beruhigend: Dafür sei es momentan, eine Woche nach dem Angriff auf die Ukraine, aber seiner Meinung nach noch zu früh. Wenn Sie allerdings doch das Gefühl haben, Sie möchten Unterstützung von außen annehmen und Gespräche mit Ihnen nahe stehenden Personen reichen da nicht mehr aus, kann ein Besuch bei der Hausärztin oder dem Hausarzt hilfreich sein – sie oder er kennt Sie bestenfalls schon einige Zeit und kann beratend zur Seite stehen. Auch die TelefonSeelsorge können Sie kostenlos kontaktieren: 0800/1110111 oder 0800/1110222.
So können Sie unter anderem aktiv werden und helfen
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind nach UN-Angaben fast 700.000 Menschen auf der Flucht. Der Konflikt hat auch hierzulande eine Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. Viele Norddeutsche möchten aktiv werden, besuchen Kundgebungen oder Friedensgottesdienste, sammeln Hilfsgüter oder bieten geflüchteten Familien eine Unterkunft an. Wenn auch Sie auf diese Weise unterstützen möchten, gibt es hier einige Möglichkeiten (die Liste erhebt selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und soll nur als Anregung dienen):
Wer spenden möchte, kann dies unter anderem hier tun:
- Aktion Deutschland hilft (Bündnis zahlreicher deutscher Hilfsorganisationen)
- Aktionsbündnis Katastrophenhilfe (Bündnis aus Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland)
- Bündnis Entwicklung hilft
- Uno Flüchtlingshilfe
- Malteser
- Johanniter
- Ärzte ohne Grenzen
Geflüchtete mit Wohnraum unterstützen:
Andere Hilfsmöglichkeiten:
- Hamburger Freiwilligenagenturen – Übersicht über Hilfsmöglichkeiten für Menschen in und aus der Ukraine
- Fördern & Wohnen – Geflüchteten in Hamburg helfen
Gloria Saggau